3.1 Die Grenzen des homo oeconomicus
Bis heute ist der homo oeconomicus die zentrale Annahme, wenn es darum geht menschliches Verhalten zu verdeutlichen. Folgender Abschnitt untersucht die Fragestellung wie nah das Modell an der Realität ist und zeigt die Grenzen des homo oeconomicus auf und diskutiert dessen Kritik.
Transferiert man das Modell auf die Problematik der Altersvorsorge müssten Individuen zunächst einmal zu dem Schluss kommen, dass aufgrund der vorher beschriebenen Notwendigkeit aus dem Lebensyzklusmodell und der unzulänglichen gesetzlichen Rentenversicherung, eine Altersvorsorge angelegt werden muss. Ist diese Entscheidung gefallen, wird der homo oeconomicus alle Optionen auswerten, deren Eintrittswahrscheinlichkeit einschätzen, sich für die mit dem höchsten Nutzen entscheiden und verzögerungsfrei umsetzen. Dieser Prozess ist in Abbildung 6 verdeutlicht.
Auf diesem Modell bauen viele andere Theorien der Neoklassik auf, die essentielle volkswirtschaftliche Zusammenhänge beschreiben, jedoch spiegelt es die Realität nur bedingt wider. Immer mehr kristallisiert sich heraus, dass menschliche Entscheidungen systematisch vom Idealbild abweichen. (Normann, et. al. 2001)
In dem grundlegenden Teil dieser Arbeit wird das Verhalten des homo oeconomicus mit drei Verhaltensgrundlagen beschrieben. Er verfügt über unbegrenzte Rationalität, unbegrenzte Willenskraft und unbegrenzten Eigennutzstreben.
Der Mensch ist allerdings keineswegs unbegrenzt rational. Er begeht Fehler bei der Aufnahme und der Verarbeitung von Informationen und stößt in der heutigen Gesellschaft immer mehr an seine Kapazitätsgrenzen. (Beck, 2014, S.2) Vielmehr agieren Konsumenten intuitiv, reflexhaft und bedienen sich vereinfachenden Entscheidungsregeln. (Reisch, et. al., 2009, S.33)
Auch die Willenskraft ist beschränkt. Unbequeme Entscheidungen werden hinausgezögert und getroffene Entscheidungen zum Teil nicht oder erst später umgesetzt. So wird sich auch um die Entscheidung der Altersvorsorge gedrückt, obwohl dem Entscheider bewusst ist, dass sie angelegt werden muss. (Beck, 2014, S.3) Egoismus ist in unserer heutigen Gesellschaft zwar allgegenwärtig, doch Menschen agieren nicht ausschließlich nach dieser Maxime. Altruismus und Fairness finden ihre Ausprägungen bspw. in der Blut-, Organ-, oder Geldspende bzw. im Konsum von Fair-trade-Produken und sind ebenso vorzufinden wie die Maximierung des Eigennutzes. (Reisch, et. al., 2009, S.32) Die Erkenntnisse sind nicht neu. Schwächen in der Logik des Menschen und dessen impulsive Entscheidungen werden schon lange im Marketing dazu verwendet Konsumenten zu einer Kaufentscheidung zu verleiten, die sie unter rationalen Gesichtspunkten nicht treffen würden. (Reisch, et. al., 2009, S.33)
Das Modell homo oeconomicus kann also zurecht kritisiert werden, wenn es um die Frage geht, ob es eine große Vorhersagekraft menschlichen Verhaltens in der Altersvorsorge aufweist. Um zu entscheiden, ob das Modell revidiert werden muss, sind jedoch noch weitere Gesichtspunkte zu betrachten.
Laut Milton Friedman sollte man Theorien daran messen wie präzise ihre Vorhersagen sind und nicht an der Güte der Annahmen. (vgl. Bogland 1997) Stimmt man mit dieser Meinung überein, wird die Kritik an dem Modell homo oeconomicus hinfällig, da sich mit den Annahmen präzise Prognosen treffen lassen. Verhaltensorientierte Ökonomen vertreten dagegen den Standpunkt auch die Annahmen als solche müssten möglichst weit an der Realität sein, um präzise Vorhersagen zu treffen.
Menschen begehen Fehler, aus denen sie lernen und ändern daraufhin ihr Verhalten. Aus diesem Grund ist ein irrationales Verhalten auf lange Sicht nicht möglich, so das Argument. Allerdings sei gesagt, dass bspw. bei dem Bezug zur Altersvorsorge das Argument lernen nicht haltbar ist, da eine Altersvorsorge einmaliger Natur ist und sich daher kein Lernprozess einstellen kann und die Rückmeldung auf die Entscheidung auch erst Jahrzente später erfolgt. (Reisch, et. al., 2009)
Ausserdem ist in Betracht zu ziehen, dass Menschen möglicherweise nicht denken, wie es die verschiedenen Optimierungsmodelle unterstellen, sondern rein intuitiv so handeln. Dieser Ansatz stammt ebenfalls von Milton Friedman und wird häufig durch das Beispiel des Billardspielers verdeutlicht. Das Einlochen einer Kugel kann mit den Gesetzen der Mechanik beschrieben werden und der Billardspieler handelt so als würde er dieser Logik direkt folgen, obwohl er aus Erfahrungen und Intuition handelt. Damit wird außer Acht gelassen wie der Mensch zu einer Lösung kommt und betrachtet Rationalität anstatt eines Prozesses als einen Zustand. (Börsch-Supan, 2005,S.452) Kritiker dieses Ansatzes behaupten Modelle, die Prozesse nicht beschreiben können, seien unzureichend.
Unbeachtet, ob man der Kritik große Aufmerksamkeit schenken möchte, bleibt jedoch der Fakt, dass für die mathematische Formalisierung der ökonomischen Theorie die Annahme eines rationalen Menschen unverzichtbar war, denn Modelle mit unberechenbaren Akteuren liefern keine klaren Ergebnisse. Vereinfachende Annahmen sind dabei essentiell, um andere Mechanismen herauszukristallisieren. (Beck, 2014, S.10)
Der ursprüngliche homo oeconomicus wird als normativ verstanden. Demnach sind seine Verhaltensweisen Richtlinien, nach den ein Mensch möglichst effizient handelt. Heutzutage ist er jedoch gegenwärtig in so vielen Theorien und Modellen, dass sich das Gedankengut über ihn verändert hat. So handelten verschiedene Arbeiten darüber, ob der homo oeconomicus gut oder böse ist. Die Frage kann nicht beantwortet werden, da sie falsch gestellt ist. Damit wird dem Modell ein deskriptiver Charakter zugesprochen, wie wir bereits festgestellt haben, beschreibt der homo oeconomicus jedoch nicht das menschliche Verhalten, er trifft nur rationale Annahmen darüber. Ein essentieller Unterschied. (Franz, 2004, S.11)
Damit sind wir an die Grenzen des homo oeconomicus gestoßen. Wie erörtert wird damit nicht menschliches Verhalten widergespiegelt. Vielmehr bietet das Modell mit seinem normativen Charakter Richtlinien zu einer optimalen rationalen Entscheidung und liefert eine solide Grundlage für mathematische Formalisierungen und weiterer Theorienbildung.
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